Ein ungewöhnlicher Balanceakt Paul Kroker
Was die Künstlerin Regina Zacharski aus Dargun an der Mecklenburgischen Seenplatte sich da vorgenommen hat, tun nicht viele ihrer Profession: Den tagtäglichen Verlauf der schwersten aktuellen Krise in Europa und in der Welt nicht nur zu verfolgen, sondern in einen ästhetischen und ethischen Kommentar Woche für Woche zu verwandeln.
Diese Aufgabe ist doppelt und dreifach schwer: sich einmal eine klare Haltung zu den tagtäglichen Ereignissen in der Politik zu erarbeiten, charakterisiert von der Würde des Menschen. Und sich dann dazu auch künstlerisch zu äußern! Und ein Statement zur Zeit, mal kürzer, mal länger, das ist das eine. Das andere ein Bild, eine multimediale Collage zu produzieren, die wie gute Kunst sich länger hält als eine Karikatur aus der Tagespresse. Und das gelingt nur gewieften Profis.
Regina Zacharski tritt seit fast einem Jahr an, mit eindringlichen Bildern Gewissen und Gefühl des Publikums aufzurütteln und künstlerisch einzustimmen darauf, was schön und zugleich menschlich ist oder sein könnte und sollte in dieser Welt. Das ist kritische politische Kunst, wie sie uns allen ein Banksy so grandios vorführt. Fast schon selbstverständlich, dass eine solche Haltung auch die Aufmerksamkeit des Bundespräsidialamtes erregt, wie es ein Brief vom Mai letzten Jahres belegt.
Zacharskys Kunst, so gegenwartsbezogen sie ist, ist aber da, wo sie zu großer Kunst aufläuft, von eben solcher ästhetischen Nachhaltigkeit geprägt. Ein Beispiel nur ist der 43. Corona-Kunst-Tagebucheintrag vom 6. Dezember 2020 mit dem Titel Orange Time zum Jahrestag gegen Gewalt an Frauen - einem Phänomen, das sich auch in der hohen Zahl an Femiziden in Deutschland niederschlägt und dem hierzulande immer noch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Zacharski zeigt aus diesem Anlass nicht das Abbild einer geschändeten Frau, sondern vor dem zerborstenen Fenster einer armseligen Location die Drohgebärde eines halbnackten frustrierten Mannes mit geballten Fäusten. Treffender geht´s kaum.
Expressionistisch eindringlich dagegen die Nr. 48, Regina Zacharskys Corona-Schrei der Angst vom vergangenen 10. Januar. Dann auch drei nackte junge Frauen, positioniert vielleicht in einer historischen Markthalle, auf der ins Rotlicht getauchten Fotocollage Corona - Golgatha vom September des Vorjahrs. Dazu aus dem Text der Künstlerin:
"In Niedersachsen haben Bordellbetreiber erfolgreich gegen die CORONA bedingte Schließung ihrer Einrichtungen geklagt. Die „körpernahe Dienstleistung“ ist wieder zugelassen, wenn auch mit „Hygiene-Auflagen“. Das klingt ein bisschen so, als würde Tönnies seine Fleischproduktion wieder aufnehmen dürfen. Nur in diesem Falle ist es nicht der Betrieb, der die Ware herstellt, sondern die Ware ist gleichzeitig auch ein mit allen Menschenrechten ausgestatteter eigenständiger Produzent und Anbieter".
Präziser, vielleicht nur prägnanter und in einer Formel kondensiert, hätte das auch ein John Heartfield aus der Weimarer Zeit nicht machen können.
Schließlich, nicht zu vergessen: Mit Regina Zacharsky präsentiert sich im Internet eine Künstlerin, die ihre Arbeiten im analogen Atelier nicht nur abfotografiert und ins Netz stellt, sondern eine von Anfang an auf den medialen Raum ausgerichtete Bildproduktion betreibt, die sie dann "digitale Plastik" nennt.
KUNO hat die Künstlerin schon in den Anfängen der Pandemie entdeckt und zusammen mit anderen Künstler*innen in einem Blog präsentiert: https://www.kunoweb.de/2020/06/09/kunst-in-diesen-zeiten/
49 CORONA - PSYCHO / 17. Januar 2021 / digitale Plastik
CORONA mutiert. Die in England und Südafrika entdeckte Mutation gilt als bis zu 70 % ansteckender als der ursprüngliche Erreger. Die Spirale der Bedrohung, Schuld und Identitätsangst schraubt sich gefährlich nach oben in Richtung kollektive Psychose. Die verantwortliche Politik sieht sich gezwungen, die persönliche Freiheit immer drastischer einzuschränken und muss gleichzeitig die Notwendigkeit ihres Handelns dem Wahlvolk plausibel erklären. Die vollkommene Durchdringung des sozialen Lebens durch die Medien leistet dabei beträchtliche Unterstützung, trägt aber auch zu Widersprüchlichem bei. Mehr Licht, mehr Versachlichung und weniger Programmeuphorie täten gut. RZ 777
48 CORONA - Der SCHREI / 10. Januar 2021 / digitale Plastik
Die CORONA – PANDEMIE bringt das Gesundheitssystem an seine Grenzen. Das Damoklesschwert einer Triage schwebt über jedem, der sich in diesen Zeiten in ärztliche Notversorgung begeben muss. Dabei haben wir keinen Krieg, die Krankenhäuser sind unzerstört und intakt. Die Ursache dieser Tragödie liegt im Dunkeln...
CORONA ist nicht genug.
44 CORONA - WINTERBLUES / 13. Dezember 2020 / digitale Plastik
Wer nicht an WUNDER glaubt, der ist kein Realist. ( David Ben-Gurion )
RZ 777
43 CORONA - ORANGE TIME / 6. Dezember 2020 / digitale Plastik
Am 25. November 2020 wurde zum - orange day - zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen aufgerufen. Die Aggression gegen Frauen und Mädchen ist weltweit ein Menschenrechtsproblem enormen Ausmaßes. Misshandlungen, Vergewaltigungen, Zwangsprostitution, Ehrenmorde, Kinderehen, die Liste ist lang. CORONA – bedingte Lockdowns in ganz Europa ließen die Zahl von Übergriffen gegen Frauen und Mädchen in die Höhe schnellen. In häuslicher Isolation können sich viele Frauen nicht mehr selbst schützen. Angemaßte Macht und Befugnis über jemanden, etwas zu bestimmen, zu herrschen, gerichtet gegen Frauen und Mädchen, haben in der Zukunft keinen Platz und sind zu ächten. Öffentliche Gebäude in Orange-Licht zu tauchen, hilft da wenig.
RZ 777
41 CORONA - ANGST / 22. November 2020 / digitale Plastik Die Angst im Zusammenhang mit CORONA und den jüngsten Attentaten in Europa hat viele Gesichter. Sie reicht von der Angst um die Gesundheit und Wohlstandsverlust bis hin zur Angst vor dem Sterben. Diese Angst unterliegt zur Zeit einer gewissen Verselbständigungstendenz. Der Staat gewinnt einen familienähnlichen Charakter. Der Abstand ist vermindert. Dieser Zustand ist ausbeutbar. Den Repräsentanten des Staates und auch den Medien fällt hier eine besondere Verantwortung zu, die Demokratie zu leben und zu sprechen.
Keine Angst – kein Wolf
RZ 777
32 / 33 CORONA - NEUE NORMALITÄT DIGITAL / 27 . September 2020 / digitale Plastik
Büros und Konferenzräume verändern sich durch CORONA radikal. Tatsächliche und physische Präsenz verlagert ihren Schwerpunkt zur digitalen Existenz. Die Schnittstelle hierzu wurde individualisiert. Der Umbruch des „menschlichen Daseins“ von realen zu digitalen Lebensräumen beschleunigt sich rasant.
Homeoffice ist ein Anfang.
29 CORONA - GOLGOTHA / 6. September 2020 / digitale Plastik
In Niedersachsen haben Bordellbetreiber erfolgreich gegen die CORONA bedingte Schließung ihrer Einrichtungen geklagt. Die „körpernahe Dienstleistung“ ist wieder zugelassen, wenn auch mit „Hygiene-Auflagen“. Das klingt ein bisschen so, als würde Tönnies seine Fleischproduktion wieder aufnehmen dürfen. Nur in diesem Falle ist es nicht der Betrieb, der die Ware herstellt, sondern die Ware ist gleichzeitig auch ein mit allen Menschenrechten ausgestatteter eigenständiger Produzent und Anbieter. Es sind vornehmlich Frauen und Mädchen, also betroffene Menschen, die sich meist in einer Grauzone bewegen und ihre Haut zu Markte tragen, mit allen Risiken die CORONA mit sich bringt. Dem Rechtsfrieden ist genüge getan.
Die Brüchigkeit der Wirklichkeit ist mit den Händen greifbar.
23 CORONA … und dann kam CORONA / 26. Juli 2020 / digitale Plastik
Ein unsichtbarer, bedrohlicher Schleier legt sich langsam und unaufhörlich über unsere Welt und stellt alles auf den Kopf. Nichts ist mehr, wie es war. Unser Leben fällt aus dem gewohnten Rahmen. CORONA zwingt uns inne zu halten, im Glauben an ständiges Wachstum und ein immer Größer, Höher und Weiter. Es ermöglicht uns neu nachzudenken über eine solidarische und nachhaltige Zukunft. Werden die Karten neu gemischt? Allerdings steht zu befürchten, sollte CORONA eines Tages überwunden sein, wird sich das Karussell in gewohnter Weise weiterdrehen. Maß und Mitte sind des Menschen Sache nicht.
20 CORONA - „RETTUNG FÜR ALLE„ / 5.Juli 2020 / digitale Plastik
In CORONA-ZEITEN sind „RETTUNGSPAKETE und RETTUNGSSCHIRME“ für Staaten, Firmen und Jobs die Regel. Aber auch Menschen in Not muß geholfen werden. Der Druck steigt.
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Anonyma (Montag, 25 Januar 2021 17:44)
Toller Tipp!
Ganz besonders ansprechende Werke.
Marit Koch (Donnerstag, 01 April 2021 22:37)
Liebe Regina, wir haben uns auf dem Webinar am Donnerstag letzter Woche gesehen und ich wurde neugierig auf Ihre digitalen Plastiken. Das ist wirklich außergewöhnlich eindringlich und tagesaktuell und in vielen Fällen ein Mehrfachhingucker. Klasse! Liebe Grüße von Marit