Mutterland, Kiew (2023)
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Gemälde von Nazanin Pouyandeh
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Ein Gespenst geht um...

– nein, nicht jenes, von dem ein großer 2018er Jubilar vor 170 Jahren schrieb. Ein ganz anderes Gespenst macht sich immer wieder geltend in diesen Zeiten: das Gespenst eines neuen Puritanismus. Und geht vielleicht unbewusst eine mehr als unheilige Allianz ein mit einer anderen P-Bewegung.

Wo ehrenwerterweise gegen Gewalt und Diskriminierung von Menschen und für Werte wie ihre Gleichheit und Freiheit (und natürlich auch der der Andersdenkenden) gekämpft wird, da machen sich nun Trittbrettfahrer*innen breit, um unter dem Banner allseitiger Bannung von Diskriminierung ihrerseits diskriminierend und zensierend zu wirken. Ein Beispiel von vielen sind die Anstreicher von Hellersdorf (in Abwandlung eines Titels aus der ZEIT).

Diese Hochschulangehörigen, die es aus der Kultur- und Kunst- wie der aktuellen Zeitgeschichte eigentlich besser wissen müssten, haben nun einen eigenen Kanon von sechs Geboten entwickelt zur Beurteilung der ohnehin schwierigen Frage, was denn nun ein Kunstwerk sei. Keins aber darf es ihnen zufolge sein, dann nämlich, wenn es "sexistische, rassistische, ableistische, lookistische, klassistische, ageistische oder sonstige diskriminierende Bezüge“ aufweise. Keinesfalls beschämend, wenn einige dieser Adjektive erst gegoogelt werden müssen, das gehört zum Sprech der neuen Jakobiner*innen.

Selbst wenn das ethisch für das gesellschaftliche Zusammenleben richtig ist, kann das dann aber auf die Kunst, ein Kunstprodukt angewendet werden? Gibt es da nicht vielleicht andere, ästhetische Kriterien?! Nur als Beispiel eine literaturwissenschaftliche Interpretation  der Dichterin und Akademikerin Nora-Eugenie Gomringer.

Nun wäre das alles aber eigentlich unerheblich, wenn die neuen Zensor*innen im Rahmen einer verbalen Auseinandersetzung verblieben. Dank ihrer ideologischen Hegemonie an der Hochschule jedoch nutzen sie ihren Einfluss auf die Strukturen der Macht aus und machen sich so die Hände schmutzig. Wohlgemerkt rein politisch nur im Überbau. Die Drecksarbeit dann machen natürlich die Proleten. Hoffentlich wenigstens nach Tarif und keine Billigfirma aus dem unweiten Nachbarland.

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Horst W. (Lübeck) (Sonntag, 04 Februar 2018 18:14)

    Lasst die Bilder hängen

    VON NIKOLAUS BERNAU
    Wer wissen will, wie dominant auch heute noch in vielen Museen eine auf männliche Künstler ausgerichtete Perspektive ist, der sehe sich den Neubau des Wallraff-Richartz-Museums in Köln an. Eine Institution, die seit ihrer Gründung vor 194 Jahren nur von Männern geleitet wurde. An den drei Hauptfassaden sind Inschriften mit den Namen bedeutender Künstler angebracht. Es ist keine Frau darunter.
    Andererseits: Zugang zu den Kunstakademien wurde Frauen in Preußen auch erst 1919 gewährt - sie seien, hieß es davor, durch das Zeichnen nackter männlicher Modelle moralisch gefährdet. Es sind solche oft widersprüchlichen Perspektiven, die über alle aktuellen Missbrauchsvorwürfe hinaus die schon länger anhaltende Debatte um Frauen und Männer, ihre Rollenzuschreibungen, ihre Macht und Machtausübung in Museen, aber auch Bibliotheken, Theater-, Opern- und Konzerthäusern befeuern.
    Die Art Gallery von Manchester, eines der bedeutendsten Museen Großbritanniens, hat das 1897 von John William Waterhouse gemalte „Hylas und die Nymphen" ins Depot verbannt, ein Hauptwerk der viktorianischen Kunst. Seine Stelle, teilte das Museum mit, bliebe nun leer, das Publikum solle hier mit Klebezetteln kommentieren, wie in solchen Werken Frauen angeblich nur als „passives" dekoratives Element oder als männerverschlingende „Femme fatale" gezeigt würden. Parole der Kuratorin Clare Gannaway: „Lasst uns dieser viktorianischen Fantasie entgegentreten!"
    Nun gibt es genug Gründe, die Rolle, die Frauen in Museen zugebilligt wird, zu hinterfragen. Kein deutsches Museum hat es etwa bisher in seiner Dauerausstellung gewagt, wie vor einigen Jahren das Pariser Centre Pompidou, die Kunstgeschichte wenigstens der Moderne einmal ganz aus weiblicher Sicht zu betrachten. Zwar kamen die Kuratorinnen auch nicht um Picasso oder Matisse herum. Aber es kamen eben auch Namen und Ideen ins Spiel, die vollkommen unbekannt waren. Das Panorama der Moderne wurde reicher, üppiger (..)
    In Berlins Museen hingegen wird nicht einmal angedeutet, dass die schwarze Frau im Hintergrund dieses oder jenes Adelsgemäldes eine Sklavin war. Doch sollte man deswegen dieses Bild weghängen? Oder Caravaggios „Siegreichen Amor", weil darauf ein Junge in eindeutig sexuell aufreizender Pose gezeigt wird? Keineswegs. So wie auch als anstößig erscheinende Bücher nicht verändert werden dürfen, nur um aktuellen Bedürfnissen zu genügen. Die gesamte Weltliteratur ist schließlich eine einzige Attacke auf vernunftgeleitete Ess- und Bewegungsregeln, eine Gewaltorgie, ein erotisches Gewusel.
    Der Direktor des Frankfurter Städel-Museums, Philipp Demand, hat darauf hingewiesen, dass die Kunstgeschichte der Welt und die Museen ohne solche Themen leer gefegt würden. Genau deswegen war übrigens der lüsterne Blick der Männer auf die Frauen auch bisher schon ein Thema in dem Saal in Manchester, von der Auswahl der Werke bis hin zu deren Beschriftung.
    Das Weghängen des Werks von Woodhouse war nicht notwendig, um das Publikum auf eine Fehlstelle in der Botschaft des Museums aufmerksam zu machen. Stattdessen soll hier das Publikum auf den einen Blick auf Kunst und Geschichte eingeschworen werden, auf das schwarz und weiß, Frau und Mann, schwach oder mächtig, gut oder böse, Güte oder Missbrauch, moralisch akzeptabel oder inakzeptabel. Diesem antihistorischen Rigorismus geht es nicht um Erkenntnis etwa in die Wandelbarkeit der Werte, Interessen und Perspektiven. Es geht nur um die Behauptung, dass einzig die heutige Sicht auf die Welt die angemessene sei.
    Aber wie kam es denn dazu, dass Woodhouse eine antike homoerotische Geschichte in seinem Werk heterosexuell umdeutet, dass der junge Mann den Frauen geradezu verfällt, die Machtfrage also mindestens ungeklärt ist, dass seine Schulter so aufreizend gemalt wurde wie die Brüste der Nixen? Und wieso werden weiße Frauen gezeigt, wo doch die Antike im „braunen" Mittelmeergebiet spielte? Nichts davon soll mehr debattiert wer¬den, nur noch die Frage Mann-Frau.
    Anhand von Kunst, Musik, Literatur, Theaters und Ritualen befragen Menschen sich nach dem Sinn ihres jetzigen Lebens. Kulturelle Äußerungen müssen dafür aber sichtbar bleiben, und seien sie aus heutiger Sicht noch so unverständlich - Pädophilie war für die griechische Antike gesellschaftserhaltend, die Frage, ob man katholisch oder mus¬limisch ist, war lange viel wichtiger als die, ob man mit Männern oder Frauen ins Bett geht.
    Dies Schillern, dies Uneindeutige zu zeigen, ist die Aufgabe von Kulturinstitutionen, nicht das Zeigen einer „Wahrheit". Genau deswegen haben totalitäre Herrscher immer wieder versucht, Sammlungen und Literaturen zu bereinigen, in ihrem Sinn zu säubern. Und genau deswegen ist das Mani¬pulieren von historisch gewordenen Werken oder gar ihr Nicht-Zeigen derart antiaufklärerisch, dass es einem den Atem nimmt.
    Berliner Zeitung 03.02.2018

  • #2

    Reinhard K. (Landkreis Verden) (Dienstag, 06 Februar 2018 15:51)

    Uwe Wittstock analysiert das Gedicht "Decolleté" von Durs Grünbein...

    Decolleté
    Manchmal genügt ein Schlüsselbein,
    Der Sturz in ein Augenpaar –
    Und Schmerz flammt auf
    Über allen Verzicht und Verlust
    In einem Menschenleben.
    Nun zeigt sich: Es ist sehr kurz,
    Gleich vorüber die Hauptsaison.
    Vergeben die Chancen, Avancen.
    »Letzte Runde«, ruft der Kellner
    Und klaubt die Servietten auf.

    So leicht erreichbar schien vieles.
    Aber nun ist es ein Ausverkauf,
    Ein Schimmer zwischen Terminen,
    Reiseplanung, Zahnprophylaxe
    Im Turnus zum Festtagsfinale,
    Und es gilt, früh zu buchen.

    Ein Blick in die Kontaktanzeigen:
    Es geht um Sehnsuchtsdaten,
    Haarfarben und Oberweiten.
    Die B-Seite des Lebens
    Hat angefangen: Zwölftonmusik,
    Auch für ungeübtere Ohren.
    Immerhin wächst die Rührung Stündlich.
    Man wünschte, man fiele
    Nicht ganz so tief. Wünschte, man wäre
    Wieder das unbeschriebene Blatt.

    Lesen Sie hier den kompletten Artikel: http://plus.faz.net/feuilleton/2018-02-03/f7890e36416ffcf1f1f935d916eee569?GEPC=s5