Mutterland, Kiew (2023)
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Gemälde von Nazanin Pouyandeh
Gemälde von Nazanin Pouyandeh


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NordArt 2019 ästhetisch intensiv

 

 

Was auf den ersten Blick auffällt bei dieser großen Ausstellung im kleinen Büdelsdorf ist die starke China-Connection. Gleich auf dem Weg zum Parkplatz manifestiert sie sich nachdrücklich im bombastischen Spalier schwarzer, eher verblüfft dreinschauender, keineswegs furchterregender Riesenaffen. Diese Bronzeskulpturen sind einfach beeindruckend wegen ihrer schieren Größe. Dem Künstler zufolge verkörpern sie durchaus auch eine ethische Intention angesichts der Vergehen der Menschheit an der Natur. „Erbsünde“ der Titel des Werks, 2016 mit dem Publikumspreis bedacht.  In immer neuen Anordnungen und Locations auch außerhalb des NordArt-Geländes wird seit einigen Jahren diesem Kunstwerk ein je eigenwilliges Auftreten verschafft. Nun kam es rechtzeitig zur diesjährigen Ausstellung zurück von einem monatelangen Ausflug vor dem Kieler Landtag.

 

 

 

 

Eine andere chinesische Installation monumentaler Figuren könnte wegen ihrer emphatischen Gestik vielleicht als rotgardistisch selbstbejubelnde wie zugleich auch als selbst/ironische Hommage an das politische China Mao Zedongs gewertet werden: „Der Osten ist rot“ (2004-09) von Liu Ruowang (1977), dem Schöpfer auch des Affenensembles. Fast hätte man es sich denken können.

 

 

 

 

Dann dieses überdimensionale Acrylbild aus elf Teilen von Qin Feng (1961) auf dem Symposium der NordArt 2017 angefertigt „Landschaft der Zivilisation. Für Hou-Yi“, Huldigung des mythologischen Helden im Titel sowie der Kunst der Kalligrafie. Gleichzeitig aber auch der abstrakten expressionistischen Trends in der Kunstgeschichte, wodurch sich vielleicht nicht zuletzt auch die Größenordnung erklärt. Und das hier ist nur eine der beiden Seiten.

 

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Im Aussenbereich des Skulpturenparks hat unser Augenmerk vor allem die begehbare Installation „Degree“ (2017-19) auf sich gezogen. Die übermannshohen Eisendrahtfiguren des mongolischen Künstlers Ochirbold Ayurzana (1976) deuten mit ihrer leichten Verbeugung eine semantisch hoch aufgeladene körpersprachliche Geste an, die wir auch für unseren Kulturraum als Einladung an das Publikum nehmen können und zugleich als Danksagung seitens des Künstlers. Ayurzana ist ebenfalls kein Neuling auf der NordArt und sollte „Degree“ Teil der permanenten Ausstellung werden, dann korrespondiert es bestens mit einer dort schon länger aufgestellten Skulptur von des Künstlers Hand. 

 

 

 

 

Zurück in der Ausstellungshalle Carlshütte. Hier ist das vielleicht beeindruckendste unter allen – und nicht nur unter den chinesischen – skulpturalen Objekten die auch international viel beachtete Installation  von ZHANG Dali (1963) mit dem Titel  „Chinesischer Nachwuchs 1-16“ (2007): Und das keineswegs, weil diese Leichen junger Menschen aus Fiberglas sofort das Massaker am Tiannanmen-Platz in Peking vor dreißig Jahren erinnern lassen.  Die nackten blassen, bleichen Leiber mit den ID-Codes auf dem Rücken gehen uns tiefer an. Wir ahnen und wir wissen es: Es ist nicht allein dieser eine Moment brutalster Abrechnung eines Regimes, dessen wir gedenken. Diese weißen unschuldigen Körper, an den Füßen aufgehängt wie Schlachtvieh, aber nicht bluttriefend,  wären da nicht einige rötliche Spuren, die mehr ahnen lassen, als anklagen. Allzu Vordergründiges vermeidet der Künstler gleichfalls in seinen Portraitserien in Büdelsdorf, geht auf Distanz, auf dass das Denken nicht überrumpelt werde. Markant die Hängung in dieser  ehemaligen Werkhalle, die den Gedächtnismotor zusätzlich antreibt. 

 

 

Uns haben auch sehr angeregt die doch recht zahlreichen Beispiele ästhetisch wertvoller Kunstobjekte. Dazu ganz kurz hier eine kleine Schar auf der NordArt vertretener Künstler*innen, die uns besonders aufgefallen sind.

Bratislav Radovanovic (1972) begründet seine Malerei mit dem philosophischen Ansatz, die herrschende Werteordnung zu dekonstruieren und in neuen Erzählungen wiederauferstehen zu lassen (http://bratislavradovanovic.com/). An diesem alles andere als anheimelnde Ölgemalde („Belgrad“, 2018) fasziniert besonders dieser untererdige Touch à la Gulag oder Dostojewski und Kafka und eröffnet so eine ganze Reihe Assoziationsräume . 

Undine Bandelin (1980) präsentiert die Serie „Das Wohnzimmer“, wovon wir hier drei Arbeiten zeigen, die besonders anschaulich die Technik der Künstlerin ausstellen: „… ein Motiv wird im Siebdruckverfahren auf verschiedene Leinwände gedruckt und anschließend immer wieder übermalt. Hintergrund bildet der immer gleiche Schatten, eine Schablone, die nun verfremdet und in immer wieder neue Kontexte gesetzt wird“, nach dem offiziellen NordArt-Text. So wird der zentrale Wohraum zugleich durch eine Vielzahl von Erfahrungsräumen besetzt und erweitert. (mehr auf: https://undine-bandelin.de/

Emmanuelle Lainé (1973) ist eine der über 170 Künstlerinnen, mit denen das Gastland Frankreich einen Gesamteindruck seines zeitgenössischen Kunstschaffens dank junger, aufstrebender Künstlerinnen vermitteln möchte. Der Titel dieser Foto-Arbeit geht auf eine ihrer Installationen zurück: „Stellatopia" (2012). „Lainés komplexe Installationen verwandeln die von ihnen besetzten Räume in beunruhigen: de Wahrnehmungs-umgebungen“, heißt es in einer Kritik. Das könnte durch ein Video noch konkreter werden https://www.youtube.com/watch?v=QV8OyymmGZg. Auf jeden Fall beweist sich hier in ganz glücklicher Weise die besondere ästhetische Intensität des Abbilds.

Der niedersächsische Fotokünstler Ulrich Heemann (1961) stellt einige Montage-Arbeiten aus seiner Arbeit mit der Berliner Butoh-Tänzerin Yuko Kaseki vor, die durch ihre surrealistische Poesie bestechen. Unbedingt noch zu empfehlen die Abbildungen in seiner Online-Galerie: http://www.ulrich-heemann.de/

Andrei Gamart (1980) lebt und arbeitet in Bukarest. Seine eindrucksvolle Arbeit „The Great Escape“ (2016) beruht auf „einem großformatigen Gemälde, worauf die von einer Überwachungskamera, die sich an einem Strand im Pazifik befindet, Echtzeitbilder projiziert werden“, so der offizielle Ausstellungstext zur Technik dieser Arbeit. Mehr über die Arbeit des Künstlers: http://andreigamart.com/

Markus Rock (1962) präsentiert in seinem schwarzen Foto-Kubus die nackte hochwangere „Julia“ (2016). Dazu interessant der NordArt-Text: „Der bis zum Bersten gespannte Bauch steht im starken Gegensatz zu ihrer Gelenkigkeit, ihrer Sinnlichkeit und Ausstrahlung. In ihrer scheinbaren Widersprüchlichkeit – es ist nur die Widersprüchlichkeit unserer Erwartungen – wird sie zur Skulptur, zur Fiktion.“ Die vollständige Serie begeistert dank ihrer klassischen wie artistischen Porträts mit der schwangeren Frau in Aktion.  Mehr: https://markusrock.com/albums/julia/

Varol Topac (1967, Ankara) verabschiedet uns aus der Carlshütte mit seiner Arbeit „Bir-lik“ (Einheit, 2017), dieser wundervoll poetischen kinetischen Skulptur aus Baumzweigen, Metall, angetrieben von Elektromotoren, die 2017 den Publikumspreis der NordArt gewann (http://vtopac.blogspot.com/).

Geht man nach der Qualität dieser Schau, der größten jährlich wiederkehrenden Ausstellung im Norden dieses Landes und des Kontinents, sowie nach den eigenen Vorlieben, dann kehren wir zufrieden von der NordArt 2019 zurück und vergessen schnell solche übermäßig gehypten Großinstallationen wie das Spiegelkabinett „Noahs Garden II“, das ästhetisch ebenso beliebig bleibt wie dass es tricktechnisch nicht einmal vergleichbaren Geschäften auf einem Rummel Konkurrenz machen kann. Sowie auch das schlaffe unbedeutende Fahnenmeer mit dem semantisch anspruchsvollen Titel „United Nations in Black And White“, das dem eigenen Anspruch jedoch nur Hohn spricht und sich bloß in verschiedenen Grautönen ergeht wie ein Regentag an einem der Meere des Nordens. Auch diese beiden Arbeiten: von chinesischen Künstlern. Womit sich unser Kreis schließt. 

Auf jeden Fall aber: Für uns hat sich der Besuch in diesem Jahr wirklich gelohnt.

 

 

Noch bis zum 13. Oktober

 

Foto-/Video-Credits: KUNO/ per Klick auf Foto, Video oder Web 

 

 


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Kommentare: 1
  • #1

    Fulvia Milton (Dienstag, 23 Juli 2019 07:54)

    Quite impressive and unexpected. Food for thought. And for the soul. Thank you for covering it so beautifully. I have the feeling I was there too.