Noch bis zum 1. November 2020 hospitiert die Berliner Gemäldegalerie in ihrer zentralen Wandelhalle eine Sonderausstellung zur Bildhauerei der Gegenwart: The Last Judgement Sculpture des britischen Künstlers Anthony Caro (1924-2013) aus der Sammlung Würth. Was durchaus verwundern mag, nämlich ein solch zeitgenössisches Skulpturenensemble – erschaffen zwischen 1995-99 auch als künstlerische Reaktion auf die Balkankriege – inmitten all der Alten Meister aus dem 13. bis 18.Jahrhundert!
Jedoch schon der Titel von Caros Arbeit verweist auf ein vielfach gestaltetes Thema der Kunstgeschichte: das Gottesgericht am jüngsten Tag. Und die Gemäldegalerie beherbergt ja ihrerseits einige wertvolle Werke dazu von Fra Angelico bis Lucas Cranach d. Ä.
Während Kuratorin Sarah Schönewald verständlicherweise im Booklet zur Ausstellung zunächst auf „die Auseinandersetzung eines großen Bildhauers mit der Kunst- und Kulturgeschichte“ hinweist, zitiert sie dann den Künstler selbst mit den Worten: „Die Geschichte Europas strotzt vor Gräueln. Mein Jüngstes Gericht ist eine Reaktion auf die Gräueltaten der Gegenwart, auch wenn am Ende die Hoffnung auf eine hellere Zukunft nicht aufgegeben wird.“ Die Kuratorin bevorzugt hier gleichfalls eine eher vorsichtige Formulierung und konstatiert selbst nur „vereinzelte Hoffnungsschimmer“, die sie allerdings an drei Werken der Gesamtschau durchaus zu konkretisieren weiß (S.44 PDF).
Beeindruckend der Gang durch diese skulpturale Installation in ihrer faszinierenden Monumentalität. In der Fülle figürlicher und abstrakter Formen und Materialien aus vor allem Holz, Beton und Metallen wandert der Blick anfänglich recht unstet, weil auf ständiger Sinnsuche, ja auch auf Suche nach Wiedererkennbarkeit. Was er bald auf- und sich schließlich der Erhabenheit dieses Kunstwerks hingibt. Voller Bewunderung. Natürlich begleitet von Fragen. Und von...
Blick auf das Tor des Todes
…großer Beklemmung: Wie schon beim Betreten der Installation durch den Bell Tower mit seiner Totenglocke, als da diffuse KZ-Assoziationen erwachen. Und noch wissen wir gar nicht, was uns eigentlich erwartet. Und stehen schon unmittelbar vor der wuchtigen Door of Death, dem Einlass in die Unterwelt der antiken Mythologie.
Hinzu tritt das biblische Narrativ der Sünden und Sünder*innen und gerinnt – wie bei den meisten Einzelgruppen – zu plastischer Gestalt in großen kompakten Schaukästen als Judas und Salomes Tanz oder als Habgier und Neid sowie als Die Hölle: eine Stadt und schließlich Die Schatten der Nacht:
Der Weg führt durch ein Labyrinth aus Schuld und Sühne und vor Folter- und Giftkammern, vor Monumente mit weiterhin sprechenden Titeln wie Bürgerkrieg/Schädel/Fleisch/Opfer/Gnadenlosigkeit... Anthony Caro inszeniert einen weiten Raum des Eingedenkens und Erkennens: „Die Hölle, das sind wir selbst“ (T.S. Eliot), was ja die Antithese geradezu herausfordert: „Die Hölle, das sind die Anderen“ (J.P. Sartre).
Was aber ist nun mit dem eingangs versprochenen Schimmer von Hoffnung?
In direkter Linie gegenüber von Glockenturm und dem Tor des Todes und vorbei an den Skulpturenschränken und -kästen rechts und links und in der Mitte stehen wir schließlich vor dem Gate of Heaven, flankiert von je zwei Last Trumpets, die diesem fünfteiligen Ensemble eine gewisse Leichtigkeit, fast Heiterkeit verleihen. Vielleicht auch dem zukunftsweisenden Torspalt zu verdanken, dem wir uns nur auf Abstand nähern dürfen. Statt dass diese Posaunen des Jüngsten Gerichts die Toten ins himmlische Paradies rufen, könnte das auch im Sinne Heinrich Heines interpretiert werden, nämlich als Aufruf, hier auf Erden das Himmelreich zu errichten ?
Wir bescheiden uns und machen´s lieber eine Nummer kleiner. Denn anders als zu Heines Zeiten, ist es heute bei „immer mehr Menschen und immer weniger Planet“ (Maja Göpel) allerhöchste Zeit, schleunigst umzudenken und dabei notwendiges Handeln nicht zu vergessen - für ein neues ...?
Paul Kroker, Juni 2020
Medien
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Wenche Burger-Nøstvold (Dienstag, 09 Juni 2020 18:43)
Ich bin beeindruckt von diese ausgezeichnete künstlerische Auseinandersetzung mit der Zeit. Es ist eine Reise durch die Geschichte! Ich werde mir diese Ausstellung noch Mal ansehen, vieles muss verdaut werden!
Renate Servus (Donnerstag, 11 Juni 2020 07:02)
Oh, da gibt es viel zu entdecken... ein verspielter fast liebevoller Umgang
mit Unausweichlichem, die Dramatik liegt im Auge es Betrachters.
Dies Abenteuer eine Art Perspektive oder Kreuzweg der Menschheit zu erwandeln will verwirklicht werden!
Fulvia Milton (Donnerstag, 11 Juni 2020 18:35)
It’s perturbing but not disturbing. It affects you, but as you walk through Caro’s narrative sculpture, beyond the Door of Death, everything seems so familiar, you are not scared at all. As if life had prepared us to Caro’s Inferno, with its warm earthy colours, its sienna and terra-cotta wooden little monsters we have known all our lives. A hell reflecting so closely our own lives.