Mutterland, Kiew (2023)
Mutterland, Kiew (2023)
Gemälde von Nazanin Pouyandeh
Gemälde von Nazanin Pouyandeh


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DEFA-Spielfilm

 

Die Kategorie DEFA-Spielfilm geht zurück auf den Film/Video-Monat September 2022 von KUNO, wird nun Januar 2024 neu überarbeitet, bleibt aber treu dem Prinzip der freien Verfügbarkeit des Online-Filmmaterials.

 

Keineswegs zufällig jedoch, weil schon immer thematisch und künstlerisch der freien ästhetisch-ethischen Kunstproduktion in der ehemaligen DDR zugeneigt, das Interesse KUNOs an der Arbeit der DEFA, die sich – ursprünglich als sog. volkseigener Kulturbetrieb der DDR – heute als Stiftung zur „Bewahrung des Kinoerbes der DDR“ auch jenen Filmen, besonders aus den 1960ern widmet, die wie andere auch jahrzehntelang der Zensur unterworfen waren. Einige dieser Filme, die wir 1990 in Gänze zum ersten Mal im Kinosaal sehen konnten, stellt die DEFA heute noch allgemein online zur Verfügung. Einer der schönsten, Spur der Steine, gehört wie andere auch aktuell nicht dazu, läuft jedoch ab und an mal auf rbb oder 3sat.

 

Mit einem halben Dutzend Ganzfilmen und einer Reihe von Trailern präsentiert KUNO einen kleinen Überblick über die Geschichte des DDR-Films, darunter aus dem DEFA-Archiv einige einstmals verbotene Filme.

Der eine Sommerwege, ein Film über die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft in den 1950ern mit Hilfe eines Parteifunktionärs, dann allerdings schnell von oben verbannt wegen fehlender „richtiger Linie“. Die findet die Partei schon gar nicht in der rebellischen Baubrigade von Spur der Steine von 1966. Wobei sie einen ebenso verwegenen Liebesfilm auf einer Großbaustelle wie Beschreibung eines Sommers noch vier Jahre zuvor passieren lässt. Diesen empfiehlt KUNO als Ganzfilm wie auch Das Kaninchen bin ich, bis 1990 im sog. Giftschrank wegen Kritik an der SED-Strafjustiz sowie der parteiüblichen Doppelmoral. Zwei sehr interessante Spielfilme, die wie ein Großteil der DEFA-Produktionen ihre Nähe zum italienischen Neorealismus kaum verbergen.

Ein anderer Ganzfilm soll an dieser Stelle vorgeschlagen sein: Die Beunruhigung schafft es in den 1980ern sogar ins DDR-Fernsehen, nachdem schon eine Welle von Literatur und Film im Jahrzehnt davor die Lebens- und Liebesansprüche von Frauen und Jugendlichen ins Zentrum stellt wie etwa die umstrittenen und dann in Ost und West erfolgreichen Neuen Leiden des jungen W. in Literatur, Theater und Film oder den DEFA-Hit Die Legende von Paul und Paula.

Als Ganzfilm hier dazu P.S. (1978) über einen elternlos aufgewachsenen jungen Mann, der weder in seinen Beziehungen zu Frauen noch gesellschaftlich Orientierung findet. Immer stärker gerät das sakrosankte Parteiprinzip des "Primats der Politik" ins Wanken.

In den Achtzigern tritt das persönlich und gesellschaftlich leidende und zugleich fordernde Subjekt ästhetisch noch stärker in den Vordergrund und kümmert sich immer weniger um Parteidisziplin, Zensurvorgaben und die scheinbar allgewaltige Stasi. Dafür stehen im Film das vielschichtige Porträt einer Künstlerin in Solo Sunny (1980) wie auch der erste DDR-Film zum Thema Homosexualität Coming Out, der genau am 9.November 1989 Premiere feiert!

Dass literarische und filmische Werke nach dem Fall der Mauer sich auch gerade aus zeitlicher Distanz zu fast einem halben Jahrhundert DDR-Kultur freier verhalten können und dann in der neuen vereinten Republik Gestalt annehmen, verwundert nicht. Dazu gehören Sonnenallee, die Filmkomödie von Leander Haußmann von 1999, dann Good Bye, Lenin!(2003) von Wolfgang Becker mit seiner Verquickung von Familien- und Zeitgeschichte.

Wie gleichfalls und an herausragender Stelle der Filmgeschichte (allerdings nicht mehr der DEFA) der preisgekrönte Film zum Künstlerleben unter der Stasi als überraschender Gewinner des Auslands-Oscars für Das Leben der Anderen (2006).

Nicht auf gleicher Erfolgsspur, doch deshalb nicht weniger eindringlich der ZDF-„Fernsehfilm der Woche“ über ein obdachloses Diktatoren-Paar: Margot und Erich Honecker und der Pastor,  welcher ihnen bis zum Exil in Chile fast drei Monate Unterkunft gewährt (Regie: Jan Josef Liefers), lange Zeit in der ZDF-Mediathek verfügbar.

Die hier erwähnten Filme möchten einen kleinen Beitrag leisten, Vergangenes und Verschüttetes aus einem halben Jahrhundert Kulturgeschichte der DDR wieder ins allgemeine Wahrnehmungsfeld zu rücken. 

 

Trailer aus dem DEFA-Spielfilm Die Mörder sind unter uns (1946) von Wolfgang Staudte. Damit beginnt das Nachkriegskino in Deutschland - zunächst nur im Osten

„Dieser Film thematisiert nur ein Jahr, nachdem der Krieg zu Ende war, schon die Thematik der Mörder, die unter uns leben, der Kriegsverbrecher, die unbehelligt weiter ihre Geschäfte machen können“ (Anna Luise Kiss), was im Westen noch lange nicht zur Sprache gebracht wird. 

 

 

 

Trailer zum DEFA-Film "Der Untertan" (1951) von Wolfgang Staudte nach dem Roman von Heinrich Mann -  eine brillante Satire auf einen Volkscharakter und seine politischen Folgen.

Diederich Heßling, Sohn eines autoritären Papierfabrikanten im wilhelminischen Deutschland, lernt von früh auf, sich der Macht zu beugen und Schwächere zu unterdrücken.

 

GANZFILM

 

Im Spätsommer 1958 wird der Parteisekretär Ernst Wollni aus Berlin aufs Dorf  geschickt, um dort den Aufbau einer LPG zu unterstützen. Dort trifft er seinen Jugendfreund wieder, einen nach der Bodenreform 1945/46 in der Sowjetisch besetzten Zone recht erfolgreichen Bauern, der für privatwirtschaftliches Engagement und gegen die Kollektivierung Partei nimmt. Wollni ist hartnäckig angesichts der Dorfarmut und scheint schließlich die Bewohner zu motivieren.  

Der Film wird 1959/1960 gedreht. Nach verschiedenen Schnittauflagen wird die Aufführung am 2. September 1960 von der staatlichen Abnahmekommission untersagt mit der Begründung, der Film gebe "keine Antworten auf die heutigen Fragen“. Wohl wegen Differenzen in der Erzähltechnik des Films und bei der widersprüchlichen Gestaltung des Protagonisten. Und weil das von der Partei erwünschte Happy End eher einem Open End weicht.

 

 

 

 

 

GANZFILM

 

Mit drei Mio Zuschauer*innen hoch erfolgreicher Film von 1962 nach dem gleichnamigen Roman von Karl-Heinz Jakobs. Und man glaubt es kaum, was da schon/ noch möglich war: Ja, es war einer der offiziell geforderten Betriebsromane, doch im Mittelpunkt steht eine zarte wie leidenschaftliche Liebesgeschichte zwischen dem männlichen Protagonisten Tom, Ingenieur mit Macho-Ruf und alles andere als ein politischer Freund der Partei, und der verheirateten FDJ-Funktionärin Grit. Und: das Ende der Geschichte ist offen, so fehlt auch das sonst immer aufscheinende Wort "Ende" auf der Leinwand. Wohl überflüssig nach der letzten Szene mit dem innigen Kuss der beiden auf blühender Wiese, die hier sanktioniert, was Mitte der Sechziger von der der Partei gern immer erstmal kassiert wird. 

Gern wird dieser Film mit demselben Manfred Krug in der Hauptrolle als Vorläufer der vier Jahre später verbotenen Spur der Steine (s.u.) gesehen.

 

 

Ein neuer Parteisekretär auf der Baustelle und auch eine neue junge Ingenieurin. Beide treffen auf einen widerspenstigen Brigadier, den ungekrönten König der Baustelle mit seiner Brigade hinter ihm wie ein Mann. Was die Bauleitung vermasselt, rückt der Brigadier auf seine anarchistische Weise wieder gerade. Das zahlt sich aus - in den Lohntüten wie für den gesamten Bau. Die Fähigkeiten der Arbeiter und der Bauleitung, ihre Dogmen beiseite zu legen, macht aus ihnen ein gutes Team, das dem Chaos auf der Baustelle zu Leibe rückt.

Dann aber noch die Liebesgeschichte zwischen der Ingenieurin und dem verheirateten Parteisekretär, der sich zwischen seinen zwei Frauen nicht entscheiden kann - ein persönlicher Konflikt, aber auch ein Verstoß gegen die offiziell prüden Parteiprinzipien.

Politisch nicht linientreu und offiziell wenig moralisch, verschwindet der Film bis zum Fall der Mauer im Giftschrank der Zensur. 

Das gleichnamige Buch (1964) zum Film, ebenfalls nicht unbedingt linientreu, stammt übrigens vom Autor und SED-Funktionär Erik Neutsch.

 

GANZFILM

 

Das Kaninchen bin ich ist eine 1964/65 vom DEFA-Studio für Spielfilme, Gruppe „Roter Kreis“, verfilmte Literaturadaption von Regisseur Kurt Maetzig, die auf dem Roman Maria Morzeck oder Das Kaninchen bin ich von Manfred Bieler basiert. Der Film war bis 1990 in der DDR verboten, da er sich kritisch mit dem Sozialismus – insbesondere mit der Strafjustiz und geltenden Sexuakpraktiken – auseinandersetzte.

 

Der erste Rohschnitts fand ohne die Parteizensoren statt. Diese sahen den Film erst in der fertigen Form und kritisierten ihn scharf: Er sei angetan, „den Feinden unserer Republik in ihrer Hetze zu helfen“ und könne „schädlich auf unsere Menschen wirken“. Zulassung des Films untersagt. Außerdem passte nicht, dass die weibliche Hauptrolle mit einer West-Berlinerin besetzt war zu einer Gage von 5000 DM-West.

Die Wende kam am 14. Juni 1957 vom FDJ-Zentralrat, der Berlin – Ecke Schönhauser… lobte, weil der Film „bei der Masse […] richtig ankommen [werde].“ Premiere am 30. August 1957 im Berliner Kino Babylon. Nach einem Viertejahr hatten 1,5 Millionen den Film, einer der erfolgreichsten DEFA-Filme.

 

 

 

Trailer zum DEFA-Film "Die Legende von Paul und Paula" (1972) von Heiner Carow

Worum in den Filmen der Sechzigerjahre noch gerungen werden musste, wird hier lustvoll ausgelebt: individuelles Glück statt Kollektivzwang. Und das vermittelt der Film mit einem Feuerwerk fantastischer surrealer Einfälle, die ironisch die realsozialistischen Verhältnisse aufspießen. Ein Fanal und weiteres DEFA-Highlight.

Ganzer Film auf https://rakuten.tv/at für 2,99 €

 

 

GANZFILM  

per Klick aufs Foto

 

P.S.

Regie: Roland Gräf

Produktionsland/-jahr: DDR 1978

 

Selbstfindungsprozess eines Waisen in der DDR, der in durchaus freundlichem Ambiente aufwachsen kann. Doch das Fehlen wohl der Eltern, vor allem der Mutter, kann sein  Bedürfnis nach Zugewandtheit, Zärtlichkeit und Liebe mit allen Frauen, mit denen er ein Verhältnis hat, nicht kompensieren. Freude und ein Moment des Glücks miteinander ist irgendwo allen versagt. Sollte es der Protagonist bei seinem eigenen Kind finden können? Open End.

Ein für seine Zeit jenseits aller Grenzen ein, fern aller Doktrinen, durchaus treffendes filmisches Statement.

 

GANZFILM

 

Die Psychologin Inge Herold, Mitte dreißig, geschieden, hat einen 15-jährigen Sohn und ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann. Plötzlich erfährt sie, dass sie eine bösartige Geschwulst haben könnte und am nächsten Tag zur Operation muss. Das veranlasst sie, über ihr bisheriges Leben nachzudenken. Zur Angst vor der Diagnose kommt die Sinnkrise ihres Lebens. 24 Stunden enormer psychischer Anspannung lassen sie die Dinge deutlicher sehen, auch sich selbst. Schließlich bringt sie die Kraft zu einem Neubeginn auf - trotz ständiger Beunruhigung durch die Krankheit. Low-Budget-Produktion unter der Regie von Lothar Warneke, 1982. Filmszenarium von Helga Schubert. 

 

Solo Sunny von Konrad Wolf und Wolfgang Kohlhaase wird 1980 ein fulminanter Erfolg, auch in der Bundesrepublik. Der Film ist das vielschichtige Porträt einer Künstlerin in der Lebenskrise. Die Hausgemeinschaft beäugt skeptisch die exaltierte Sängerin, die ihre Bettbekanntschaften morgens mit kurzer Anweisung hinausbefördert..

 

 

Trailer zum DEFA-Film "Coming Out" (1989) von Heiner Carow.

Der erste DDR-Film zum Thema Homosexualität. Premiere am 09.November 1989, als die Mauer fiel.

 

 

 

 

 GANZFILM (2006)

 

  

Ost-Berlin, November 1984: Stasi-Hauptmann Gerd Wiesler ist ein linientreuer Ideologe und ein unerbittlicher Verhörspezialist. Als er den Auftrag bekommt, den erfolgreichen DDR-Schriftsteller Georg Dreyman und seine Lebensgefährtin, die Schauspielerin Christa-Maria Sieland, zu observieren, verspricht Wiesler sich davon auch einen Karriereschub. Dass das Eindringen in die Welt der Observierten ihn zugleich selbst verändert, damit hat der Stasispitzel nicht gerechnet.

 

 

 

 

Eine kleine Geschichte des DDR-Films online

 Januar 2024                                                                                                            Paul Kroker

                                                                                                        © 2022 Titelseite/Unterseiten 

Kommentare: 1
  • #1

    Christian Kruse (Donnerstag, 15 September 2022 20:58)

    Wunderbare Zusammenstellung! Sehr beeindruckend finde ich die Videos von Bill Viola...
    Gerne weise ich hier auf den Filmemacher und Videokünstler HEINZ EMIGHOLZ hin,
    der in Berlin lebt und arbeitet. (Über den Wikipedia-Eintrag gelangt man auf seine Webseite)