Domain: www.kunoweb.de

Mutterland, Kiew (2023)
Mutterland, Kiew (2023)
Gemälde von Nazanin Pouyandeh
Gemälde von Nazanin Pouyandeh

Newsletter

kulturimnorden@gmail.com 



 · 

KÜNSTE 2025

 

Kunst- und Kulturschaffende 2025 

                                                                                                                              bitte scrollen 

 

„Pipilotti Rist in Bremen: Farbenfroh und faszinierend“, so das TV-Journal von NDR-Kultur. Und weiter: „Ein Wald wie kein anderer, der Pixelwald der Pipilotti Rist lässt uns innehalten und staunen. Die begehbare Installation aus Licht, Bewegung und Musik erzeugt das Gefühl zu schweben. Kunst soll Spaß machen. Pipilotti Rist begann als Musikerin, kam so zur Videokunst. Raus mit dem Fernsehbild aus dem Flimmerkasten, rein in den Raum. Damit hat die 62jährige die elektronische Kunst auf den Kopf gestellt“.

 

„Eigentlich ist ja jedes Videobild“, so die Künstlerin weiter, „jedes Fernsehbild nur organisiertes Licht. Diese Organisation haben wir in den Raum explodiert mit der Idee, dass wir dazwischen hindurch können. Das gehört zu meiner Agenda seit Jahren: Dass ich die Technik aus dieser – rechteckigen - Form rausbringen möchte und mehr mit unserem Körper verbinden. Mit bewegtem Licht, Filmen und Musik, wo die Menschen aus- und eintreten können“.  Und das geht hier exakt so bei dieser Videoinstallation eines Pixelwalds, dem ersten in Deutschland von insgesamt fünf in Museen weltweit. In der Kunsthalle Bremen an der Weser, die hier von der Künstlerin althochdeutsch benamt wird Wisera. 

 

Fotos: kunoweb
Fotos: kunoweb

 

Nichts an den Wänden, die sind kahl und schwarz wie die Decke und der spiegelblanke Keramikboden in diesen hundertsechzig Quadratmetern. Das Material aus dem Videoarchiv der Künstlerin hängt und wirkt im Raum. Und nicht etwa als Skulptur oder als visuell fassbares Bildfragment. Sondern will vielmehr unsere Sehgewohnheiten aushebeln und nur bleiben ein Spiel von Hell und Dunkel, das Changieren von Farben sowie eher sanften Bewegungen, zugeschnitten auf Ton und Klang der Soundkulisse. Traditionelles Video wird hier übersetzt aus seiner Zwei- in die Dreidimensionalität und „explodiert“ – so ja die Künstlerin, die gern überrascht und irritiert – in fast dreitausend von der Decke herabhängenden manuell geformten LED-Leuchtmitteln aus Kunststoff in Glasoptik, deren Pixel jeweils gesondert programmiert sind.

 

Dass das im Gesamt funktioniert, dazu verhelfen den Credits zufolge außer den „LED-Lichtern, Diffusionshüllen, Systemnetzteile, elektrischer Regler, Media Player, Tonanlage.“ Weiterhin werden vier Soundtitel mit Klängen und Musik eingespielt. Dauer dieses Kunstspektakels: 20’43 in Dauerschleife. 

 

 

Die Wirkung ist jedenfalls allumfassend und bewegend. Denn die Trümmer nach dieser Explosion zweidimensionaler Videoschnipsel erfahren ein gediegenes Upcycling und gebären so ein neues, großartiges Erleben von Kunst, ein großes Staunen über „die unendlichen Wunder der Evolution“ (Pipilotti Rist), von Leben, Natur und Technik. 

Man denke dabei nicht zuletzt an die revolutionären Veränderungen durch Künstliche Intelligenz. 

 

 

Erinnern wir da nicht ein in seiner Wirksamkeit vergleichbares Kunsterlebnis der Pariser Künstlerin Justine Emard (*1987) mit ihren Supraorganismen (2020)?!

Auch hier eine begehbare Installation mit mundgeblasenen Glasskulpturen, gesteuert allerdings von einer KI, welche  nach einem Training, ausgerichtet an dem Verhalten von Bienen, auf die Anwesenheit des Publikums reagiert mit Licht, Schatten und Geräuschen.

Ein Kunstwerk einer anderen Generation, die eben auch anders den Beziehungen unserer Existenz und  Technologien nachforscht und im Ergebnis durchaus vergleichbare ästhetische Ansätze produziert:

 

 

Keineswegs zu hoch gesteckt sind die Erwartungen der Kunsthalle Bremen an diese neue Arbeit von Pipilotti Rist, der auch hier gut bekannten Schweizer Künstlerin. Und die Pressemitteilung spricht zurecht von einer „eindringlichen Raumerfahrung“ in diesem einzigartigen Bremer Pixelwald Wisera (2025), Teil des Projekts, an dem die Künstlerin gemeinsam mit ihrer Produktionsleiterin Kaori Kuwabara schon seit 2016 erfolgreich arbeitet. Und das macht in der Tat „Lust zum Eintauchen und Verweilen“. 

 

Eine knappe Stunde vor der Pressekonferenz dann in diesem durchaus berauschenden Lichtermeer. Und unter den anderen Journalist:innen, die sich Notizen machen, fotografieren und filmen, ein freundliches, rücksichtsvolles Neben- und Hintereinander. Und dann sich besinnen und fokussieren auf das Erlebnis von Schönheit: einatmen, aufsaugen, ausatmen. Links und rechts, vorn und hinten selbst fotografieren und filmen, auch in die Schwärze der Tiefe.

 

Das Erleben eines Carpe diem aktiv und im Bewusstsein, was uns draußen, außerhalb von Pixelwald und Museum erwartet. Dem wir uns stellen wollen und müssen. Weil wir auch wissen: leben ist schrecklich und so schön zugleich. Wenn auch nur mal für einen Augenblick. Aber der ist es wert. Wie hier in dieser Ausstellung.

 

Vielleicht lässt sich das in unserem Video ein wenig nacherleben mit der konkreten Geräuschkulisse des Moments. Auf jeden Fall bestenfalls wie im Restaurant nur als "Gruß aus der Küche" - also: unbedingt in der Kunsthalle Bremen selbst erleben. Oder:

in der Schweiz (Kunsthaus Zürich), Norwegen (Ekebergparken in Oslo), in den USA (Museum of Fine Arts, Houston) und Qatar (National Museum).

 

Video: hier klicken

 

Und schließlich ist sie anwesend auf der Pressekonferenz zusammen mit ihrer Produktionsleiterin Kaori Kuwabara und der Kuratorin Eva Fischer-Hausdorf: Pipilotti Rist mit ihrer Spontaneität und Emotionalität, gestikulierend und so lebendig. Wie einstmals in ihrem Video in den Neunzigern, als eine forsche junge Frau mit ihrer langstieligen gelbroten Blume ganz unversehens die Scheiben eines Autos am Straßenrand zertrümmert… Und so fröhlich-friedlich ihr destruktiver Akt, genauso erleben wir sie, die Künstlerin, auf der Pressekonferenz. Sehen und entdecken sie in persona in  einem ihrer zentralen Wahlsprüche: „Ich sehe, Du siehst. Ich sehe Dich sehen. Du siehst mich sehen.“ 

 

 

 

Februar 2025                                                                              Paul Kroker

Kommentar schreiben

Kommentare: 0