Die Zeichnungen der Tanja Kolinko
Mit ihrer exklusiv für KUNOweb konzipierten Ausstellung „Menschen Faltungen“ stellen wir die ukrainische Malerin Tanja Kolinko (1975-2017) als Zeichnerin vor. Durchs Skizzieren und Zeichnen nach der Natur bringe sie Hand und Auge in Form und mache sich fit für die Umsetzung des Bildinhalts in Malerei, so die Künstlerin. Das klingt überzeugend.
Kolinko lebte mit ihrer Familie in Köln, hatte schon in Kiew die Kunstakademie besucht und dann später in Münster. Seit 20 Jahren stellte sie im In- und Ausland aus. Dies ist ihre erste Einzelschau in Norddeutschland.
Hier bei KUNOweb bewegt sich Tanja Kolinko zwischen zwei Extremen: Portraitkunst auf der einen Seite. Auf der anderen tendieren ihre Faltungen eindeutig ins Abstrakte. Und oft finden wir auch Beides in ein-und-derselben Arbeit. Oder wie sie es selbst sagt: „Für mich ist das Gegenständliche der Leib des Bildes und das Abstrakte die Seele.“
Ihre Portraits sind von spürbarer Intensität. Das Antlitz manch ihrer weiblichen Figuren hat fast die Unschuld und Zartheit eines Botticelli oder Piero della Francesca. Und auch einigen männlichen Konterfeis eignet etwas Renaissancehaftes.
Falten und Faltungen kennen wir seit der Gotik in der Architektur und Bildhauerei. Aber doch nicht immer als dominantes Strukturelement, vielmehr eher als Beiwerk. Bei Tanja Kolinko wird die Darstellung von Faltungen hingegen zum eigentlichen Bildzentrum. Und gerade die Renaissancemalerei bot ihr den Beweis dafür, dass man durch Faltenwurf die ganze Organisation eines Bildes bestimmen kann. Und das war für die Künstlerin eine entscheidende Entdeckung: „Wie stark abstrakte Kunst die gegenständliche bestimmen kann!“
„Menschen Faltungen“ ist somit eine nicht ganz alltägliche Kunstausstellung und wird zu einer besonderen Kunsterfahrung, die mitten in die Arbeit, ins Atelier führt, wo man erleben kann, was einem Ölgemälde vorangeht. Und auf welch dramatische Weise.
Tanja Kolinko (geb. 1975 in Tschernigiw/Ukraine) ist soviel zu früh 2017 verstorben.
Paul Kroker
„ "Kopfskizze“, Bleistift und Kreide auf Papier,
29x21cm, 2014, 90 Euro
„ Faltenwurf“, Bleistift und Kreide auf Papier,
21x29cm, 2007, 80 Euro
„Kopfskizze“, Bleistift und Kreide auf Papier,
29x21cm, 2014, 100 Euro
Tanja Kolinko
Menschen Faltungen, Zeichnungen Skizzen
Die Idee, die Ausstellung den Zeichnungen zu widmen, fand ich schon vom ersten Moment an sehr interessant. Vor allem, weil dieser Teil meiner Arbeit dem Publikum weniger bekannt ist. Somit bekomme ich Gelegenheit, meine andere künstlerische Seite zu präsentieren, wo sich mein Hauptinteresse auf Beobachtung, Erforschung und das Genießen der Naturformen richtet. Auf die Formgebung, die uns die Natur in all ihrem faszinierenden Reichtum bietet. Die meisten der hier ausgestellten Zeichnungen sind Naturstudien. Und in der Tat geht es mir hier nicht um das Abbilden, sondern um das Studium und Verstehen der Form.
Wenn man diese Zeichnungen mit meinen Ölgemälden
vergleicht, sieht man einerseits eine größere Leichtigkeit und
Ungezwungenheit beim Modellieren der Form, andererseits ist das aber auch weniger anspruchsvoll hinsichtlich der Suche nach der eigenen
Identität.
„Skizze“, Bleistift und Kreide auf Papier,
39x29cm, 2014, 70 Euro
„ Der Schlafende“, Bleistift und Kreide auf Papier, 21x29cm, 2007, 90 Euro
„ Faltenwurf“, Bleistift und Kreide auf Papier,
22x21cm, 2013, 90 Euro
Durchs Skizzieren nach der Natur – seien es Figuren, Gegenstände, Faltenwürfe – bringe ich Hand und Auge in Form und mache ich mich fit für die Umsetzung des Bildinhalts in Malerei. Ich suche dabei weder nach neuer Komposition der Flächen noch nach neuer Formgestaltung. Die Komposition und abstrakte Intensität der Skizzen erscheint eher als Ergebnis des unzähligen Suchen und Zweifelns auf der Leinwand, während der Geburt des Gemäldes. Das ist ein dialektischer Vorgang, der zur Bereicherung führt, wenn Skizzen zu Bildern werden, und das Figurative in den Gemälden nicht abbildend, sondern selbstbewusster und aussagefähiger wird. Ich bin mir aber der Gefahr bewusst, dass man trotz dieser gegenseitigen Bereicherung den Skizzen oft vorwerfen kann, ihnen fehle das Experimentelle und Individuelle. Der Malerei hingegen fehle dann vielleicht die Leichtigkeit beim Formmodellieren und das Figurative werde zugunsten der ganzen Bildorganisation geopfert.
„ Skizze, Bleistift und Kreide auf Papier, 21x29cm, 2006,
(unverkäuflich)
Skizze, Bleistift und Kreide auf Papier, 21x29cm, 2011, (unverkäuflich)
Es gibt unter den Menschen, die meine Kunst mögen immer auch einige, die mehr von den Zeichnungen angesprochen werden, und andere, denen es so mit der Malerei geht. Ich identifiziere mich gerne mit beiden Seiten meines Selbst und stehe für meine Zeichnungen genauso wie für meine Malerei.
Es tut mir sehr gut, meine Skizzen ab und an zu betrachten. Deswegen zeige ich sie, denn ich denke, es könnte vielleicht noch jemanden dabei so gehen. Und außerdem bin ich in diesen Zeichnungen genauso ehrlich und offen wie in den Ölgemälden. Ich stehe zu diesem Gewöhnlichen und Studienmäßigen in diesen Zeichnungen, denn sie sind für mich mit einem Spaziergang in der freien Natur vergleichbar, wo man sich ja sehr gerne auf die vertrauten Formen einlässt, sie immer wieder betrachtet und nie langweilig findet. Ich zeichne, um mein Bedürfnis nach dem Einfachen und Vertrauten zu stillen. Die Zeichnung hilft mir, mich auf den Beinen halten zu können und mein Selbstvertrauen nicht zu verlieren, denn während ich an einemÖlgemälde arbeite, bin ich ständig auf der Suche, die mit vielen Zweifeln verbunden ist.
„Im Schlaf“, Bleistift und Kreide auf Papier, 21x29cm, 2007, 100
Euro
„ Hände“, Bleistift auf Papier,
29x21cm, 2014, 70
Euro
„Faltenwürfe“, Bleistift und Kreide
auf Papier, 29x21cm, 2013, 100 Euro
Gegenständliches und Abstraktes in meinen Arbeiten verstehe ich als Zusammenleben oder Symbiose, denn es gibt keinen Kampf zwischen den beiden Seiten in meinen Bildern. Sie gehören einfach immer dazu, sind für mich nicht wegzudenken. Sie verstärken sich gegenseitig, geben einander mehr Ausdruckskraft, mehr Leben, mehr Sinn. Für mich ist das Gegenständliche der Leib und das Abstrakte die Seele des Bildes.
Mein Kunstverständnis ist stark durch die Renaissance geprägt. Diese großen Vorbilder der Kunstgeschichte bleiben für uns Künstler der späteren Generationen eine unerschöpfliche Quelle. Aber das ist auch meinem Professor Mykola Storozhenko an der ukrainischen Kunstakademie zu verdanken. Auch das besondere Interesse an Faltungen verdanke ich dem Studium in seiner Klasse. Die Tatsache, dass die Falten eigentlich nicht als Accessoire, sondern als Strukturform im Bild auftreten, war mir geradezu Erleuchtung und Offenbarung.
Und gerade die Renaissance bot den anschaulichen Beweis dafür, dass man durch Faltenwurf die ganze
Organisation des Bildes bestimmen kann. Und diese Entdeckung war für mich ein herausragendes Beispiel dafür, wie stark abstrakte Kunst die gegenständliche bestimmen kann.
„Der Schlafende“, Bleistift und Kreide auf Papier,
21x29cm, 2007, (verkauft)
„Der Schlafende“, Bleistift und Kreide auf Papier, 21x29cm, 2007, 90 Euro
„Am Strand“, Bleistift und Kreide auf Papier, 21x29cm, 2007,100 Euro
Mein Interesse an Falten wurde seit dem Zeitpunkt immer größer, als ich herausfand: Je mehr man sich mit dem Thema beschäftigt, desto unbegreiflicher wird das Geheimnis des Faltenwurfes. Es scheint, dass sich ein ganzes Universum in dieser Faltenordnung, Faltengesetzlichkeit verbirgt. Diese Welt hat eine eigene Anatomie, die noch gar nicht wirklich erforscht wurde, nämlich als Anatomie des Menschen. Deswegen seziere ich die Falten und zeichne sie ständig am Modell, um die Gesetzmäßigkeit des Wurfes herauszufinden. Denn erst dies ermöglicht es, die eigene Faltenordnung zu komponieren. Jedes Mal müssen die Falten erfunden werden, die der Bildidee genau entsprechen und sie zum Ausdruck bringen können. Jedes Bild bedarf seiner eigenen Faltenfindung.
Bei dieser meiner Suche befinde ich mich auf einer der spannendsten Reisen, die ich je erlebt habe: Die Dialektik zwischen der Darstellung des Menschen und der Darstellung von Faltungen, das Eine geht über ins Andere, verschmilzt mit ihm, gebiert etwas Anderes, Neues. Gegenständliches wird abstrakt…
„Der Schlafende“, Bleistift und Kreide auf Papier,
21x29cm, 2007, 100 Euro
„Am Strand“, Bleistift und Kreide auf Papier, 21x29cm, 2007, 90
Euro
„Skizze“, Bleistift und Kreide auf Papier,
29x21cm, 2013, 90 Euro
ÜBER MICH
Ich wurde
im 1975 in Tschernigiw/ Ukraine geboren, wo ich seit 1994 bis zu meiner Einreise nach Deutschland im 1998 an der
Staatlichen Akademie für Bildende Kunst in Kiew bei Prof. Mykola Storozhenko Malerei studierte. In Deutschland folgten seit dem Jahr 2000 fünf Jahre des Studium an der Staatlichen Kunstakademie
Münster bei Prof. Udo Scheel. Seit 2003 lebe und arbeite ich als freie Künstlerin in Köln.
AUSZEICHNUNGEN
2014 Certificate of Excellence, PALM ART AWARD 2014, www.palm- art-award.com/winners2014.html
2007 Förderpreis Odenthal, Odenthal
1998 Auszeichnung der Prüfungskommission der Staatlichen Akademie für Bildende Kunst, Kiew für die Vordiplomarbeit, Kiew
1997 Staatlicher Preis des Regierungspresidiums, Kiew
Tanja Kolinko zur Invasion in der Ukraine